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18.04.2024

Bibliotheka Albertina Leipzig

Fertigstellung Papyrus Ebers Schauraum

Ungeteiltes Wissen
Frankfurter Allgemeine Zeitung 03.08.2021

Die Leipziger Universitätsbibliothek hat für eine ägyptische Handschrift einen eigenen Schauraum eingerichtet. Nun ist der weltberühmte Papyrus Ebers als Replik erstmals wieder so zu sehen, wie er 1873 aufgespürt wurde.

Früher ging es von hier über eine steile Wendeltreppe hinab ins Untergeschoss, in einen Ausstellungsraum, der durch seine Abgeschlossenheit und den engen Zugang wie eine Schatzkammer wirkte. Dann wurde in der Leipziger Universitätsbibliothek Albertina ein moderner Schauraum geschaffen, den man direkt vom Foyer her erreicht, und der Zutritt zum alten wurde feuerpolizeilich verboten: Die Schatzkammer hätte im Unglücksfall zur Grabkammer werden können. Das Loch für die Wendeltreppe wurde geschlossen, das umliegende Benutzerschließfach-Labyrinth woanders aufgestellt, eine neue Wand eingezogen - und fertig war ein neuer Raum, in dem nun das Prunkstück der Leipziger Bibliothek präsentiert wird: der Papyrus Ebers.

Gut, das Bestandsverzeichnis der Albertina weist die Bibliothek auch als einzige Eigentümerin von zwei Gutenberg-Bibeln aus, aber eine davon ist seit 1945 in Russland, und weltweit sind noch mehr als vierzig weitere Exemplare erhalten. Der Papyrus Ebers dagegen ist einmalig. Und es gibt zwar etliche andere Unikate in der Sammlung, die spektakulärer aussehen, doch die Bedeutung des Papyrus Ebers besteht nicht in seiner Opulenz, sondern in seinem Inhalt. Es handelt sich um eine vor mehr als 3600 Jahren in Ägypten beschriebene Papyrusrolle (mit fast neunzehn Metern die längste bislang bekannte), die in hieratischer Schrift einen Überblick zur damaligen Heilkunde bietet - samt 875 Rezepten und diversen Anwendungsbeispielen.

Es gibt keine vergleichbare Quelle zum medizinischen Wissen des Altertums, und das erkannte schon der in Leipzig lehrende Ägyptologe Georg Ebers, als ihm der Papyrus 1873 auf einer Forschungsreise in Luxor zum Kauf angeboten wurde. Wo die Schriftrolle zuvor gefunden worden war, ist unbekannt; Ebers jedenfalls brachte sie nach Leipzig, um ein Faksimile zu publizieren (seitdem trägt das Dokument seinen Namen), und zerteilte das Original mit ministerieller Erlaubnis zwecks Konservierung in 29 einzelne Abschnitte, die er zwischen Glasplatten einschloss. Das sollte sich rächen, als der mittlerweile in die Universitätssammlung gelangte und weltberühmt gewordene Papyrus während des Zweiten Weltkriegs zum Schutz vor Bomben ins sächsische Schloss Rochlitz ausgelagert wurde, in dem einige Glasscheiben zerbrachen und dadurch Teile der Rolle zerstört wurden: siebzehn der insgesamt 108 Kolumnen des Textes.

Den vollständigen Papyrus Ebers konnte also seit 1945 niemand mehr sehen, und unzerteilt schon seit fast anderthalb Jahrhunderten nicht. Wie kann er dann nun in voller Länge im neuen Schauraum gezeigt werden? Es handelt sich um ein zweites Faksimile, angefertigt 2020 von der Universität selbst: auf Papyrus und im Siebdruckverfahren, um dem originalen Eindruck so nahe wie möglich zu kommen. Dabei passte man die mittlerweile verlorenen Partien, deren Inhalt aber dank Ebers' erster Faksimilierung überliefert ist, im Aussehen dem Zustand der erhaltenen Originale an.

Die Wirkung des nachgeschaffenen Objekts ist deshalb erstaunlich. Es befindet sich in einer langen Vitrine, die frei im Raum steht, sodass man in auratischem Dunkel den ganzen Papyrus abschreiten kann, der darin, hell angestrahlt und von dünnen Fäden gehalten, zu schweben scheint und nach acht Metern umgeschlagen ist; so kann man auf der anderen Vitrinenseite seine elf Meter lange Fortsetzung betrachten. Zu Beginn ist deshalb der Blick auf drei Meter Rückseite vom Ende der Rolle frei - weil auch diese Partie beschriftet ist; der antike Schreiber hatte dort einfach mit dem Schluss des Textes weitergemacht. Dadurch ist gesichert, dass der Papyrus vollständig überliefert ist. Hieratische Schrift fließend lesen können heute nach Schätzung des Universitätsbibliotheksdirektors Ulrich Johannes Schneider auf der ganzen Welt noch 25 bis fünfzig Menschen, und deshalb sind an den Wänden des Raums einzelne Partien des Inhalts in deutscher und englischer Übersetzung wiedergegeben. Zwei Videokonsolen erzählen zusätzlich die Geschichte des Papyrus und seines "Entdeckers" Georg Ebers.

Man kann sich kaum eine anregendere Präsentation vorstellen für ein Schriftstück von solcher Bedeutung. Dass im Zuge der neuen Faksimilierung die Website www.papyrusebers.de angelegt wurde, die eine noch nähere Betrachtung ermöglicht, und bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft ein Prachtband zum Preis von 200 Euro erschienen ist, ersetzt nicht die unmittelbare Erfahrung vor diesem Papyrus. Aus den Tiefen der Vitrine blicken uns 36 Jahrhunderte Heilkunst entgegen. Das tröstet in Zeiten wie diesen.

Von Andreas Platthaus