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W&V Architekten

18.04.2024

Manche mögen's weiß

Frankfurter Allgemeine Zeitung

In das Projekt wurde das einstige Gemeindehaus der benachbarten Lutherkirche einbezogen, das nun den Schulhort beherbergt. Weis & Volkmann bewahrten in dem im Krieg stark beschädigten Gründerzeitbau, was bewahrt werden konnte, und ergänzten mit Feingefühl die historischen Details. So erhöhten sie ein schmiedeeisernes Treppengeländer, um es heutigen Sicherheitsvorschriften anzupassen, ohne es dabei zu entstellen. Auch der größte Eingriff in den Bau, die Aufstockung um ein Halbgeschoss, ist kaum erkennbar. Denn die Architekten verzichteten auf die lange Zeit modischen, plakativen Alt-Neu-Kontraste durch Materialwechsel oder formale Exaltationen. Stattdessen führten sie bei dem mit Gesimsen gegliederten und mit einem leicht geneigten Walmdach abschließenden Aufbau ohne jeden architekturgeschichtlich-pädagogischen Fingerzeig den historistischen Duktus des Gebäudes weiter.

Die umgebaute Villa bildet den städtebaulichen Bezugspunkt für den mit einem gläsernen Gang angeschlossenen Neubau der Schule, der ein danebenliegendes, bisher ungenutztes Eckgrundstück besetzt. Mit Flachdach, dekorlosen Mauerflächen und breiten liegenden Fenstern steht diese kantige Kiste in der Tradition des Neuen Bauens und setzt der Gründerzeitpracht des Altbaus einen klassisch-modernen Akzent entgegen. Ein harter Kontrast wird allerdings auch hier nicht gesucht. Der cremeweiße Putz nimmt den Farbton des Nachbarn auf und betont damit die Zusammengehörigkeit beider Bauten. Umlaufende, schwarze Glaspaneele deuten im Erdgeschoss eine Sockelzone und damit letztlich eine traditionelle Fassadengliederung an. Die gebürsteten Putzflächen zeigen eine handwerkliche Lebendigkeit, mit der die Strenge der Gesamterscheinung gemildert wird.

Eine Wohltat für das Auge ist der Verzicht auf die in der aktuellen Schularchitektur grassierenden knallbunten Farben, mit denen den allzu oft erbärmlichen Bauten ein vermeintlich freundlicher, kindergerechter Anstrich gegeben werden soll. Auch das Innere des Neubaus ist in Weißtönen gehalten und wirkt dabei keineswegs unfreundlich. Für Farbe sorgen hier die Kinder, deren Ideen in die Raumgestaltung einbezogen wurden. Sie wirkten bei der Dekoration des behaglich eingerichteten, nach einer großzügigen Spenderin aus Amerika "Ingrid's Hall" genannten Speise- und Aufenthaltsraums mit und fertigten für das gesamte Gebäude eigenhändig Beschriftungen und Piktogramme an. An der Hoffassade des Neubaus dürfen sie nach Belieben die schwarzen Paneele der Erdgeschossfassade anmalen.

Das Raumprogramm ist übersichtlich, doch nicht ohne Raffinement. Breite Freitreppen verbinden die zentralen Hallen der Geschosse, um die U-förmig Unterrichtsräume angeordnet sind. Die flexibel nutzbaren Säle sind entlang der Fensterfronten mit Türen verbunden, wodurch ohne zusätzlichen Flächenverbrauch der vorgeschriebene Fluchtweg geschaffen wurde.

Der Schulhof wird auf der Straßenseite von der erhaltenen Außenmauer eines im Krieg zerstörten Vorgängerbaus eingefasst. Im Dienst einer wohlverstandenen Nachhaltigkeit steht vor allem die haltbare traditionelle Baukonstruktion des Neubaus mit siebzig Zentimeter starkem, zweischaligem Ziegelmauerwerk. Die auch an Schulneubauten gängigen ungesunden Wärmedämmschichten aus Styroporpaketen, mit denen Sondermüllberge von morgen produziert werden, blieben diesem Bau erspart. Stattdessen speichern hier die dicken Mauern die Wärme. Ebenso ressourcenschonend ist der Verzicht auf aufwendige wartungsintensive und störanfällige Gebäudetechnik für Be- und Entlüftung, die an vielen neuen Schulen unter dem Etikett Passivhausstandard zum Einsatz kommt. Gelüftet wird ganz einfach - durch Öffnen der bequemen, großen Schiebefenster.

Der Bau, der kaum teurer geworden ist als ein vergleichbares Gebäude in Passivhausbauweise, hat hervorragende Energiewerte, mit denen er mühelos den Standard der aktuellen Energieeinsparverordnung einhält. Zugleich erfreut er seine, wie zu hören ist, durchgehend zufriedenen Nutzer mit einem gesunden und angenehmen Raumklima. Diese Schule stinkt nicht. Neben dem atmungsaktivem Mauerwerk und der regelmäßigen Frischluftzufuhr tragen dazu die mineralischen Putze und Silikatfarben bei, die Gerüche minimieren.

Für Leipzig, derzeit die am schnellsten wachsende Großstadt Deutschlands, in der deshalb unter Hochdruck neue Schulen und Kindergärten von meist nicht gerade ermutigender Qualität errichtet werden, ist dieses Projekt ein Signal für eine Umkehr: Weg von gestalterischer Infantilität, materieller Schäbigkeit und Dämmwahn, hin zu baukonstruktiver und ästhetischer Wertbeständigkeit, die nicht nur gesünder und nutzerfreundlicher, sondern auf Dauer auch preiswerter ist. Dieses Signal könnte für vom Kostendruck geplagte Bauherren und Architekten von Schulen im ganzen Land von Interesse sein. Kurz nach Fertigstellung verlieh die Stadt dem Gebäude ihren diesjährigen Architekturpreis.

von Arnold Bartetzky